Schlagwörter
Bayern, Blumenkinder, Froschmühle, Gammler, Hippie, Jimi Hendrix, Kormoran an der Mühle, Oberammergau, on the road, Rennwagen II., Rockmusik, Schwarzer Vogel, Steyr Puch 500, The Who, Transmissionsgetriebe, Vilstal
Mein Freund sah aus, wie man sich „Jesus“ in Oberammergau vorstellte: ein grosser kräftiger Typ, roter Bart, Haare bis auf die Schultern. Natürlich habe ich mir auch die Haare und einen Bart wachsen lassen. Beide fuhren wir eine „Rennsemmel“ Steyr Puch 500 und wir verliebten uns in zwei Schwestern, die ihre langen schwarzen Haare bis zur Hüfte trugen. Am Wochenende machten wir die Gegend unsicher, das Benzin war günstig und wir eroberten die traditionellen bayerischen Orte, on the road: Tegernsee, Schliersee, Ammersee, Starnberger See, Walchensee.
Die Leute, die uns sahen, nannten uns „Gammler“ aufgrund unseres Aussehens, obwohl unsere Freundinnen eher „Blumenkinder“ waren. Dass wir alle studierten oder arbeiteten, interessierte sie nicht. Eine ordentliche, normale junge Person sah nicht so aus wie wir.
Als mein Opa gestorben war, machten wir uns auf dem Weg zum alten Bauerngehöft, der Froschmühle. Das Mühlen-Bauernhaus sollte abgerissen werden, um für einen Neubau Platz zu machen, der Hausstand war bereits ausgeräumt. Wir beschlossen hier eine Woche Urlaub zu machen, die letzte Woche vor dem Abriss. Wir schliefen auf Luftmatratzen, Wasser gab es von der Quelle am Bach und wir kochten uns etwas auf der alten Kochmaschine.
Strom erzeugten wir mit dem Mühlenrad. In der Werkstatt musste man nur mit einer Holzlatte die sechs Meter langen Transmissionsriemen auf das Generatorwellenrad schieben und wir konnten so Musik machen und das Vils-Tal beschallen. Türen und Fenster liessen wir wegen der Wärme offen und so kam es, dass das ganze Vierhundert-Seelen-Dorf am Sonntag nach der Kirche zu der am Dorfrand liegenden Froschmühle spazieren ging.
Mit gereckten Hälsen versuchten sie einen Blick auf die „Kommune“ zu erhaschen, die hier eingezogen war. Wir machten uns den Spaß, setzten uns ohne Hemd auf die Bank vor das Haus, hackten ab und zu ein paar Scheite Holz und hörten die Musik von Jimi Hendrix, Steppenwolf, Led Zeppelin, Pink Floyd, The Doors und The Who. Die Dorfbewohner waren begeistert.
Wir standen nicht auf Drogen sondern nur auf Musik, also fuhren wir mit lauter Rockmusik durch das Dorf und unsere Mädchen standen im oben offenen Auto, hielten sich am vorderen Reling fest und liessen Ihre Haare im Wind treiben.
Beim Metzger stieg ich aus und kaufte ein paar Scheiben Leberkäse. Die Metzgerfamilie sagte kaum ein Wort und bediente mich mit äusserster Zurückhaltung. Kein Gruss, kein Lächeln.
Später erfuhr ich von meiner am Nachbarort lebenden Tante, dass der Metzger erzählte: es sind ein paar Verrückte, die wie Affen aussahen, durchs Dorf gefahren. Einer betrat den Laden, die Metzgerfamilie versuchte sich schon zu verstecken, doch der hätte tatsächlich richtig sprechen können. Das war der „Froschmühlenmarieihrbua“!
© Kormoranflug 2013
Wie mag man Eure Rennsemmeln außerhalb Bayerns genannt haben? (Ich konnte von jeher nur den VW Käfer von einem Mercedes mit Stern unterscheiden.) Rennwecken, -brötchen, -schrippen. -rundstück oder ganz anders?
Da empfehle ich die Übersetzung: Rennmaus. Es gab übrigens noch den Spiesser-Opel und den amerikanischen Ford.
Hach, schön nostalgisch.
Ja eine schöne Zeit :-)
Schöne Geschichte : ) Mir fällt dazu eine ein, die etwa 10 Jahre her ist: Ein befreundetes Pärchen, das ebenfalls eher unkonventionelle Kleidung und Frisuren bevorzugt, zog damals in ein kleines Dorf. Natürlich waren sie bald Topthema. Sie fuhren ein altes Auto, auf dem mehrere Aufkleber klebten, u. a. einer von Sisters of Mercy. Eines Tages musste meine Freundin in die Apotheke. Die Apothekerin frug: Sind Sie von den Sisters of Mercy? Meine Freundin, die nur Aspirin wollte, sagte: Jaja. Darauf die Apothekerin: Super, mei Dochter steht dodaal auf Sie!
Süß : )
Ha, was hab ich grad grinsen müssen…
De wuidn Hund… begeisterung beim Dorfrestvolk schaugt meistens anders aus.
Des scheene is, bei uns ham alle 10 Jahr alle Burschen und auch Männer lange Haar. Und wilde Bärte. Römer sein ist sehr begehrt bei denen dies net wollen..
Grüße aus Oberammergau
Andi
Oh, eine Kennerin! ;-)
Sehr schöne Geschichte.
Das mit dem sechs Meter langen Transmissionsriemen, den ihr auf das Generatorwellenrad schieben musstet, habe ich nicht kapiert.
Aber mit freiem Oberkörper Holz hacken ist noch heute schick.
Das draussen angebrachte Mühlrad wird über den geöffneten Bachzufluß in Bewegung gebracht. Innen wird die Drehbewegung auf lange unter der Werkstattdecke angebracht Wellenstangen mit verschieden grossen Rädern weitergeleitet.
Zum gewünschten Antrieb einer Maschine (Hobelbank, Säge, Bohrmaschine) in der Werkstatt werden Lederbänder über die oberen Wellen-Räder zu Antrieb- und Übersetzungsrädern an den Maschinen geleitet.
Ein Generator zur Stromerzeugung konnte so auch über die Lederbänder in Bewegung gesetzt werden.
Die Lederbänder liefen frei im Raum, alles machte einen ziemlichen Spektakel.
Aber wer hackt heute noch Brennstoffe?
Ah- ein riesiges Spektakel. Sowas mag ich.
Der Unterfranke hackt regelmäßig Brennstoffe. Auf Wunsch auch mit nacktem Oberkörper.
Toll :-)
Eine tolle Geschichte, und danke, dass du sie uns erzählt hast…
Fehlen nur noch die Beweisfotos vom wilden jungen Kormoran ;-)
:-o
Schön geschrieben! Die Leute glauben immer, dass ihre Norm die einzig wahre Lebensform ist. Alles, was anders ist, passt nicht ins System. Viele werden ebenso angepasst, wenn sie älter werden. Dabei sollten wir uns alle in etwas mehr Toleranz üben. Es ist doch schöner, wenn man sich mitfreuen kann.
wundervolle oh so wahre geschichte…
die mir verdammt vertraut vorkommt,
irgendwie *lächel*
Fotografische beweise?!
Der Ort auf dem Foto von 2007 ist identisch. Früher gab es noch keine selfies. Frei sein war wichtig, nicht posten.
Sehr schöne Geschichte.
Die arme Froschmühle; ist nichts mehr von übrig?
Nur noch der Teich und ein Stück Bach sind noch zu sehen, traurig.
Gut, dass du mit dem Leberkäs alles wieder ins rechte Licht gerückt hast.