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Gammler.2014

Mein Freund sah aus, wie man sich „Jesus“ in Oberammergau vorstellte: ein grosser kräftiger Typ, roter Bart, Haare bis auf die Schultern. Natürlich habe ich mir auch die Haare und einen Bart wachsen lassen. Beide fuhren wir eine „Rennsemmel“ Steyr Puch 500 und wir verliebten uns in zwei Schwestern, die ihre langen schwarzen Haare bis zur Hüfte trugen. Am Wochenende machten wir die Gegend unsicher, das Benzin war günstig und wir eroberten die traditionellen bayerischen Orte, on the road: Tegernsee, Schliersee, Ammersee, Starnberger See, Walchensee.
Die Leute, die uns sahen, nannten uns „Gammler“ aufgrund unseres Aussehens, obwohl unsere Freundinnen eher „Blumenkinder“ waren. Dass wir alle studierten oder arbeiteten, interessierte sie nicht. Eine ordentliche, normale junge Person sah nicht so aus wie wir.
Als mein Opa gestorben war, machten wir uns auf dem Weg zum alten Bauerngehöft, der Froschmühle. Das Mühlen-Bauernhaus sollte abgerissen werden, um für einen Neubau Platz zu machen, der Hausstand war bereits ausgeräumt. Wir beschlossen hier eine Woche Urlaub zu machen, die letzte Woche vor dem Abriss. Wir schliefen auf Luftmatratzen, Wasser gab es von der Quelle am Bach und wir kochten uns etwas auf der alten Kochmaschine.
Strom erzeugten wir mit dem Mühlenrad. In der Werkstatt musste man nur mit einer Holzlatte die sechs Meter langen Transmissionsriemen auf das Generatorwellenrad schieben und wir konnten so Musik machen und das Vils-Tal beschallen. Türen und Fenster liessen wir wegen der Wärme offen und so kam es, dass das ganze Vierhundert-Seelen-Dorf am Sonntag nach der Kirche zu der am Dorfrand liegenden Froschmühle spazieren ging.
Mit gereckten Hälsen versuchten sie einen Blick auf die „Kommune“ zu erhaschen, die hier eingezogen war. Wir machten uns den Spaß, setzten uns ohne Hemd auf die Bank vor das Haus, hackten ab und zu ein paar Scheite Holz und hörten die Musik von Jimi Hendrix, Steppenwolf, Led Zeppelin, Pink Floyd, The Doors und The Who. Die Dorfbewohner waren begeistert.
Wir standen nicht auf Drogen sondern nur auf Musik, also fuhren wir mit lauter Rockmusik durch das Dorf und unsere Mädchen standen im oben offenen Auto, hielten sich am vorderen Reling fest und liessen Ihre Haare im Wind treiben.
Beim Metzger stieg ich aus und kaufte ein paar Scheiben Leberkäse. Die Metzgerfamilie sagte kaum ein Wort und bediente mich mit äusserster Zurückhaltung. Kein Gruss, kein Lächeln.
Später erfuhr ich von meiner am Nachbarort lebenden Tante, dass der Metzger erzählte: es sind ein paar Verrückte, die wie Affen aussahen, durchs Dorf gefahren. Einer betrat den Laden, die Metzgerfamilie versuchte sich schon zu verstecken, doch der hätte tatsächlich richtig sprechen können. Das war der „Froschmühlenmarieihrbua“!

© Kormoranflug 2013