
Norman lernte ich in der „Eisenbahnmarkthalle“ kennen, damals hieß die Markthalle zwischen Pücklerstrasse und Eisenbahnstrasse, SO 36 noch so. Noch früher ist hier in der Eisenbahnstrasse tatsächlich die Eisenbahn vom Ostbahnhof über die Brommy-Brücke auf der Strasse gefahren. Aber das ist lange her. –
Norman begrüsste mich morgens um 7.30 Uhr „na einen Kaffee und ein halbes Ei-Brötchen“? Er war früh schon so wach, dass mir gleich schlecht wurde. Seine braunen Augen blitzten gefährlich, er taxierte seine Gäste und packte jeden an der richtigen Stelle. Der Herr „Doktor“ muss was Essen, sonst fällt er um und kann nicht studieren, lachte er. Um seinen Laden in Schwung zu halten, war er schon ab 4.30 Uhr früh auf den Beinen. Nach der Anfahrt von Britz wurden Brötchen geschmiert, Kaffee gekocht, die Auslage hergerichtet. Ab 6.00 Uhr war alles perfekt – es sah aus wie im Schlaraffenland. Hackepeterbrötchen, Eierbrötchen, Tomatenbrötchen mit Schnittlauch, Käsebrötchen, Käsestangen, Salamibrötchen, Schinkenbrötchen, Croissants mit verschiedenen Camemberts und Marmelade. Es gab Wiener Würstchen, Knacker, Gewürzgurken, saure Heringe, die selbst gemachten Bouletten schmorten bereits in Pfannen und wer wollte, bekam auch einen frischen Eierkuchen, sofort. Ab Mittag gab es noch Sahnekuchen für die Besucher aus dem Altenheim. Es gab einfach alles.
Handwerker hielten bereits ab 6.00 Uhr kurz vor ihrer Weiterfahrt zu den Baustellen vor der Markthalle an, stürmten herein, liessen sich verschiedene Brötchen, Würste und Kaffee einpacken und fuhren nach einem grossen „Halli-Hallo“ wieder weiter. Hier war es immer lustig.
Der „Doktor“ war nur eine Anspielung auf mein zweites Studium. Als wir uns besser kannten, nahm er mich auf die Seite: schau mal, ich mache hier am Tag tausend DM Mindest-Umsatz mit den Würstchen, die Würste kosten nicht viel. Wenn Du das einmal hochrechnest – rechnen hast Du doch gelernt an der Universität, oder – warum studierst Du dann noch?
Tja, warum machte ich das? Trotz der Ansprache schlürfte ich anschliessend in Richtung Görlitzer Bahnhof, um in eine Vorlesung zum Ernst-Reuter-Platz zu fahren. Vielleicht war ich einfach zu kleinbürgerlich, zu spiessig konditioniert.
An der Ecke Muskauerstraße/Pücklerstrasse rollte mir ein altes Paar vom Biertresen durch die Kneipentüre direkt vor die Füsse. Die hatten die ganze Nacht abwechselnd Bier und Schnaps getrunken, während ich in einem Seitenflügel der Muskauerstrasse bei kaltem Kachelofen gefroren und geschlafen hatte.
-Berlin war irgendwie fertig-
© Kormoranflug 2014, Norman